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Pädagogik & Psychologie
Wut bei Kindern begleiten: Empathie und Halt im Kita-Alltag
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Deeskalieren mit Ruhe und Kontakt: Schritte für Fachkräfte
Wut ist im pädagogischen Alltag oft präsent – sie ist laut, wild, fordernd. Wenn Kinder sich nicht gesehen fühlen, überfordert sind oder ihre Selbstständigkeit verteidigen wollen, bricht die Wut mit voller Kraft durch. Für Fachkräfte stellt das eine Herausforderung dar, besonders wenn die eigenen Ressourcen begrenzt sind und der Alltag ohnehin turbulent verläuft.
Wut als Signal verstehen: Was im Kind gerade passiert
Kinder zeigen Wut nicht aus Trotz oder Provokation. Gefühle sind die Brücke zwischen dem, was sie wahrnehmen und ihrem Verhalten. Neurobiologisch handelt es sich bei Wut um eine Stressreaktion: Ein Teil im Gehirn, die Amygdala, ist wie ein Alarm und reagiert sofort, ob Gefahr besteht. Wenn die Amygdala entscheidet, dass eine Bedrohung da ist, schaltet sie den Körper auf Alarm: Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet. Dadurch schlägt das Herz schneller, die Muskeln spannen sich an und der Körper ist bereit, schnell zu handeln – zum Beispiel zu kämpfen, zu fliehen oder erstarrt zu reagieren.
Gleichzeitig wird der Bereich im Gehirn, der fürs Nachdenken, Regeln befolgen und Kontrolle zuständig ist (der sogenannte präfrontale Cortex), weniger aktiv. Das bedeutet: Das Kind kann in diesem Moment nicht gut zuhören oder ruhig bleiben und reagiert eher impulsiv. Deshalb verstehen Kinder im Wutanfall oft nichts von Erklärungen oder Aufforderungen. Es braucht kein „Beruhig dich jetzt!“, sondern einen ruhigen, zugewandten Erwachsenen.
Praxisbeispiel: Mit Ruhe und Nähe deeskalieren
Ein Junge namens Emil stampft wütend mit den Füßen und ruft laut, weil ihm ein anderes Kind sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat. Die Fachkraft reagiert ruhig, geht zu ihm auf Augenhöhe und sagt mit sanfter Stimme: „Ich sehe, du bist richtig sauer, weil du dein Spielzeug gerade nicht hast.“
Statt ihn sofort zu unterbrechen oder zum Beruhigen aufzufordern, gibt sie Emil Raum, seine Gefühle auszudrücken und macht ihm klar, dass sie für ihn da ist. Diese ruhige Präsenz lässt Emil spüren: Ich werde wahrgenommen, meine Wut ist okay, und ich muss sie nicht verstecken.
Die Fachkraft erkennt in Emils Wut ein Zeichen innerer Überforderung. Solch eine Haltung fördert die emotionale Entwicklung und das Vertrauen in Bezugspersonen – denn Emil erfährt, dass auch starke Gefühle ihren Platz haben und er trotzdem unterstützt wird.
Kinder Begleiten statt beschämen - Haltung zeigt Wirkung
In der bedürfnisorientierten Pädagogik haben alle Emotionen ihren Platz- auch die Wut. Statt zu fragen „Wie kriegen wir das schnell in den Griff?“, gilt: „Was braucht das Kind gerade wirklich?“ Hinter der Wut steckt meist ein unerfülltes Bedürfnis – nach Sicherheit, Zugehörigkeit, Autonomie oder Verstandenwerden. Wenn wir das erkennen, können wir Kinder wirksam unterstützen.
Eine bedürfnis- und bindungsorientierte Haltung bedeutet:
- Gefühle ernstnehmen – auch wenn sie heftig sind.
- Bedürfnisse erahnen – auch wenn sie nicht sofort sichtbar werden.
- Im Kontakt bleiben – selbst wenn es anstrengend ist.
So erlebt das Kind: "Meine Gefühle sind okay, ich bin willkommen, auch wenn ich stürmisch bin."
Beziehung statt Strafe: Kinder sicher durch die Wut begleiten
Wut wird häufig als störend oder unangenehm wahrgenommen, da sie den Kita-Alltag unterbricht und laut bis unberechenbar sein kann. Viele Fachkräfte wünschen sich dann schnell den „ruhigen“ Ablauf zurück – oft mit dem Impuls, wütendes Verhalten durch Strafen oder Ignorieren zu unterdrücken.
Doch diese Strategien verschlechtern meist die Situation: Kinder fühlen sich unverstanden oder abgelehnt, was Angst und Rückzug auslösen kann.
Beziehung statt Bestrafung heißt:
- Nicht das Verhalten unterdrücken oder abwerten, sondern dem Kind gegenüber offen und achtsam bleiben.
- Statt die Wut abzuwerten („Hör auf damit!“ oder „Sei still!“) benennen Sie klar, was das Kind gerade fühlt: „Ich sehe, du bist wütend, weil es nicht so gelaufen ist, wie du es dir gewünscht hast.“
- Die eigene Selbstwahrnehmung ist dabei entscheidend. Wenn Fachkräfte präsent und ruhig bleiben, können sie Kindern auch in der Wut Raum geben, gleichzeitig aber schützen sie die Gruppe oder andere Kinder, indem sie sagen: „Ich bin bei dir, und ich achte darauf, dass niemand verletzt wird.“ Das gibt Sicherheit – für das wütende Kind und die Umgebung.
- Grenzen setzen ohne Strafe oder Liebesentzug. Kinder brauchen klare und verlässliche Grenzen, die ihnen Orientierung und Sicherheit geben. Diese Grenzen dürfen ruhig und bestimmt kommuniziert werden – aber ohne Bestrafung oder Liebesentzug.
Regulieren statt kontrollieren: was Kindern wirklich hilft
Gefühle zu regulieren heißt, sie bewusst wahrzunehmen und angemessen mit ihnen umzugehen, ohne sie zu unterdrücken. Kontrolle hingegen versucht, Gefühle zu beherrschen oder zu verbieten, was oft zu Angst, Scham oder Vermeidungsverhalten führt und die emotionale Entwicklung blockiert.
Praxistipp
Für Kinder ist es wichtig, ihre Emotionen als wertvolle Botschaften zu verstehen und konstruktiv zu verarbeiten. Pädagogische Fachkräfte können sie auf diesem Weg begleiten, indem sie:
- Beobachten statt bewerten: Welcher Auslöser liegt der Wut zugrunde? Gibt es Muster?
- Eigene Reaktionen reflektieren: Wie wirkt die Situation auf mich? Bin ich präsent?
- Den Fokus auf Beziehung legen: Wie erreiche ich das Kind emotional, statt es nur zu korrigieren?
- Individuelle Strategien entwickeln: Was hilft dem Kind konkret – Nähe, Rückzug, Rituale?
Jedes Kind ist anders. Manche brauchen körperliche Nähe, andere brauchen Raum für sich allein. Entscheidend ist, das jeweilige Bedürfnis wahrzunehmen und nicht zu erwarten, dass das Kind seine Wut sofort alleine regulieren kann.
Fazit: Wut als Entwicklungschance verstehen
Wut ist kein negatives Verhalten, sondern Ausdruck lebendiger Entwicklung. Sie zeigt, dass Kinder sich abgrenzen und ihre Autonomie ausbauen wollen – genauso wie sie laufen lernen oder sprechen.
Für pädagogische Fachkräfte heißt das: Nicht zu versuchen, alle Herausforderungen sofort zu lösen oder zu „beseitigen“, sondern da zu sein, den Sturm auszuhalten und Sicherheit zu geben. So schaffen wir die Grundlage für emotionale Kompetenz und stärken die Beziehung zu den Kindern – die beste Basis für gelingendes Lernen und gesunde Persönlichkeitsentwicklung.
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Wut braucht Platz
Kinder in ihren Emotionen begleiten und stärken
Dieses Seminar betrachtet Wut nicht als Störung, sondern als bedeutenden Ausdruck kindlicher Bedürfnisse. Es vermittelt, wie durch liebevolle Präsenz und klare Grenzen Kinder unterstützt werden können
Im Fokus steht die Entwicklung von Methoden, die Wutanfälle als Einladung zur Verbindung und zur Förderung emotionaler Kompetenzen begreifen.
- Die Bedeutung von Wut als Ausdruck kindlicher Gefühle verstehen
- Neurobiologische Grundlagen von emotionale Reaktionen bei Kindern
- Bedürfnisorientierte und bindungsstarke Begleitung von Wut
- Co-Regulation: Die Rolle der Fachkräfte bei der Unterstützung der Emotionsregulation
- Grenzen setzen ohne Strafen – Förderung von Sicherheit und Beziehung
- Selbstfürsorge und eigene Ressourcen im Umgang mit herausfordernden Situationen stärken
Seminarzeiten:
Das Seminar besteht aus einem Termin:
01.12.2025 von 09:00 - 12:00 Uhr & 13:00 - 16:00 Uhr





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