Berufsbildungsseminar e.V. Landau

Inspiration und Information für Erzieherinnen und Erzieher.

Pädagogik & Psychologie

Tausche Schwester gegen Traktor

Tausche Schwester gegen Traktor

Geschwisterkonstellationen aus systemischer Sicht

Florian weint. Papa hat seiner Schwester Klara mehr Geld gegeben. Es ist offensichtlich: Sie hält zwei 50 Cent Stücke in der Hand, er hat „nur“ einen Euro. „Wie gemein ist DAS denn? Sicher hat Papa Klara viel lieber als mich. Sie kann ja schließlich auch schon viel besseres Fahrrad fahren als ich. Außerdem hat er sie viel mehr gelobt, als wir gestern beide ein Bild gemalt haben und eine halbe Stunde länger wach bleiben durfte sie auch – weil sie ja schon größer ist. Oh Mann, wie gerne würde ich diese blöde Schwester gegen einen Traktor eintauschen!“

Klara ist genervt. „Jetzt heult Florian schon wieder. Der blickt´s mal wieder nicht. Dabei bekommt er schon viel mehr Geld als ich in seinem Alter. Es dreht sich sowieso immer nur alles um ihn. Selbst die Fahrradtour mussten wir abbrechen, weil er nicht mehr konnte. Immer muss man Rücksicht auf ihn nehmen. Und malen kann er auch nicht. Können wir den nicht einfach wieder irgendwo abgeben. Früher waren Mama und Papa ja auch nur für mich da.“

Alle Familien sind ständig im Wandel und das System Familie wird immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt: Der kleine Bruder kommt plötzlich auf die Welt, die große Schwester ist jetzt in der Schule,…

Nichts prägt unsere Persönlichkeit stärker, als die Erfahrungen, die wir in der Familie gemacht haben und das Erlebnis dieser Beziehungen ist von enormer Bedeutung.

Dabei sind die Interaktionen mit den Geschwistern meistens sogar intensiver als mit den Eltern.

Die Entwicklung einer Geschwisterbeziehung – Liebe und Rivalität

Die entscheidendsten und wichtigsten Beziehungen, die wir in unserem Leben pflegen, sind die innerhalb des Familiensystems. Schon Einjährige haben mit Geschwistern etwa gleich viel Umgang wie mit der Mutter. Im Alter von drei bis fünf Jahren verbringen Kinder doppelt so viel Zeit mit ihren Geschwistern wie mit der Mutter.

Dass die Geschwister aus ein und derselben Familie so verschieden sind, beruht in erster Linie darauf, dass keines der Geschwister je die gleichen Erfahrungen macht und ganz andere Voraussetzungen mitbringt.

Die gemeinsam erlebte Kindheit bietet Entwicklungsmöglichkeiten und setzt Voraussetzungen für die Geschwisterliebe oder auch für die Geschwisterrivalität.

Was für eine Bereicherung!

Sie stehen einander näher als die besten Freunde, denn sie kennen sich ein Leben lang:

Geschwister sind oft die längsten Begleiter in unserem Leben, intim und vertraut, aber nicht zwangsläufig gut Freund.

Geschwister als „Trainer“ für soziale und emotionale Kompetenz

Wenn die Eltern längst tot sind, ist der Bruder oder die Schwester noch da und teilt mit uns ein ganz besonderes Erbe: die Erinnerungen an die Kindheit.

Geschwister können sich im Familienalltag unterstützen. Durch das gemeinsame Zusammenleben werden soziale und emotionale Kompetenzen gefördert. Das Kinderzimmer bietet einen Raum zum Einüben des Konfliktmanagements.

Der/Die Andere muss in seiner/ihrer Art respektiert und die Unterschiedlichkeit akzeptiert werden.

Dabei haben die Geschwisterkinder eine Möglichkeit zum Austausch der unterschiedlichen Fähigkeiten und erkennen verschiedene Maßstäbe aufgrund des unterschiedlichen Alters und anderer Voraussetzungen.

Die Geschwisterposition formt die Persönlichkeit

Die Geschwisterkonstellation, das heißt an welcher Stelle und in welcher Position man im Familiensystem steht, hat einen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung. Je nachdem, wo dieser Platz ist, werden bestimmte Charaktereigenschaften entwickelt, die sich eben aus dieser Position heraus ergeben.

Erstgeborene
orientieren sich, wie auch Einzelkinder, (mangels anderer Möglichkeiten) vor allem an Erwachsenen, möchten anderen Menschen, besonders Autoritätspersonen, gefallen und sind später überproportional häufig in Führungspositionen anzutreffen.

Die Zeit ausschließlicher Bewunderung und Liebe durch die Eltern geht bei dem Erstgeborenen dann zu Ende, wenn es erfährt, dass ein Neuankömmling unterwegs ist. Das kann beim Kind Freude auslösen aber auch Unsicherheit und Angst, ob die Eltern es dann nach wie vor lieben werden.

Erstgeborene Kinder leiden häufig besonders intensiv an Rivalitätsgefühlen und Eifersucht, da sie eines Tages, wie der Psychoanalytiker Freud sagte, „entthront“ werden.

Daraus resultiert, dass sie schneller erwachsen werden müssen, wenn ein Geschwisterchen nachkommt. Dabei bekommen sie oft zu hören, dass sie älter und damit Vorbild sind, von ihnen mehr erwartet wird und sie die Verantwortung übernehmen sollen.

Es ist enorm wichtig, das Erstgeborene als Ältesten mit einzubeziehen. Gemeinsam mit ihm können bestimmte Vorkehrungen getroffen werden, bevor das kleine Geschwisterchen aus dem Krankenhaus nach Hause kommt. Es wird empfohlen, ihm das neue Baby in die Arme zu legen, es halten zu lassen, es zu füttern oder vielleicht sogar die Windel wechseln zu lassen. Bestimmte Spielsachen können an einen bestimmten Platz geräumt oder gezielt für das Baby ausgewählt werden.

ErzieherInnen und Eltern sollten darauf achten, an den Erstgeborenen nicht zu hohe Ansprüche zu stellen, damit aus dem Streben nach Vollkommenheit nicht Perfektionismus wird.

Zweitgeborene
Das zweitgeborne Kind versucht normalerweise dem älteren Geschwister nachzueifern und womöglich, dieses zu übertreffen. Wenn jedoch keine Aussicht auf Erfolg besteht, wird das Jüngere dieses Bestreben aufgeben und sich in eine andere Richtung bewegen.

So hängen die Entwicklungsbedingungen nachfolgender Kinder grundsätzlich von den bereits vorhandenen systemischen Voraussetzungen ab.

Sandwichkinder
müssen sich bezüglich ihrer Geschwisterposition sowohl nach oben als auch nach unten ausrichten. Daher kommen sie mit den meisten Menschen gut zurecht und sorgen im Konfliktfall für mehr Harmonie. Sie sind kooperativ, schlagen gern Kompromisse vor und können gut verhandeln.

Heutzutage können Eltern einigermaßen zuverlässig entscheiden, wie viele Kinder sie großziehen möchten – und wissen beim jüngsten Kind ziemlich sicher, dass dies wohl das letzte Mal ist, dass sie die Elternrolle einnehmen. Jeder „erste Schritt“ des Kindes ist für sie gleichzeitig ein letztes Mal.

Deshalb neigen Eltern oftmals dazu, ihre Jüngsten übermäßig zu beschützen und zu verwöhnen.

Nesthäkchen
Da dieRolle des Nesthäkchens nie wirklich gefährdet ist, können die Jüngsten auch mühelos die kindische Verhaltensweisen beibehalten.

Aus diesem Grund wächst ein Nesthäkchen häufig in einer Atmosphäre auf, die es dazu ermuntert, abhängig zu bleiben und sich umsorgen und verwöhnen zu lassen (nicht nur von den Eltern, auch von den Geschwistern).

Mit den Jüngsten gehen die Eltern meist lockerer und entspannter um und die älteren Geschwister nehmen ihnen viel ab. Beachtung bekommen die Jüngsten, weil sie so niedlich sind. Daher entwickeln sich Letztgeborene oft zu kleinen Clowns, die andere Menschen charmant unterhalten. Eltern und ErzieherInnen sollten darauf achten, ihren Jüngsten auch Aufgaben zu übertragen, ihnen nicht alles abzunehmen und ihre Leistungen zu würdigen.

Viele weitere Faktoren prägen den Charakter der Kinder

Der Altersabstand
Ein größerer Abstand erhöht die Chance, dass das jüngere Kind als weiteres „Erstgeborenes“ angesehen und von entsprechend hohen Erwartungen und elterlicher Aufmerksamkeit begleitet wird. Das gilt besonders, wenn nach einem Bruder eine Schwester folgt oder umgekehrt.

Bei einer großen Lücke (mit einem Altersabstand von über 6 Jahren) entspricht das Geschwisterverhältnis nahezu einer Eltern-Kind-Beziehung. Das jüngere Kind fühlt sich sicher, während das ältere sich stark und gebraucht fühlt.

Das Geschlecht
Eltern sind von Natur aus sehr glücklich, wenn das erste Kind des anderen Geschlechts zur Welt kommt. So kann dem Kind allein schon aufgrund dessen mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden.

Das Geschlecht kann sich aber auch noch auf andere Weise auswirken. Bei gleichgeschlechtlichen Kindern ist die Rivalität größer als bei gegengeschlechtlichen. Ein Junge, der mit einer Schwester aufwächst, wird wohl weniger mit dieser in Konkurrenz treten, als einer, der einen Bruder hat.

Zwillinge, Drillinge oder noch mehr Kinder
Trotz des überaus großen Drangs, sich als Zwilling vom anderen Zwilling unterscheiden zu wollen, wächst zwischen den beiden normalerweise jedoch auch eine extrem starke Bindung.

Es wichtig, die Individualität eines jeden Kindes zu erkennen. Auch sollte man unter keinen Umständen die Geschwister der Zwillinge aus den Augen verlieren. Sie neigen leicht zu Selbstzweifeln, weil sie nicht so „besonders“ wie ihre Geschwister sind.

Besondere Einflüsse prägen die Entwicklung

Behinderung oder Tod eines Geschwisterkindes
Ein behindertes Familienmitglied benötigt selbstverständlich besondere Aufmerksamkeit der Eltern.

Mit dieser Tatsache müssen sich die Geschwisterkinder auseinandersetzen.

Für die Geschwister eines toten Kindes kann der Versuch, so „lieb“ zu sein, wie das verstorbene idealisierte Kind, unter Umständen großen Ehrgeiz hervorbringen, um Aufmerksamkeit für sich zu erhalten. Problematisch wird es, wenn sich das Geschwisterkind für den Tod verantwortlich fühlt.

Trennung / Scheidung / Patchworkfamilien
Es ist sehr wichtig, den Kindern zu versichern, dass sie nicht an der Trennung schuld sind, da die Erstgeborenen häufig dazu neigen, sich dafür verantwortlich zu fühlen.

Die meisten Kinder haben mit Stiefeltern langfristig weniger Probleme als mit Stiefgeschwistern. Häufig wird bei Gleichaltrigen um die „Rangposition“ bzw. generell um die bisherige Geschwisterposition, wie sie in der Ursprungsfamilie gegeben war, gekämpft.

Bedeutend für die individuelle Entwicklung des Einzelnen und prägend für die jeweiligen Geschwister können auch folgende Faktoren sein:

Intelligenz, Sozialverhalten, Anpassungsfähigkeit, Temperament, Aussehen, Körperbau, genetische Faktoren, Begabungen, Umgang mit Gefühlen, Selbstsicherheit.

Je nach Ausprägung des Faktors kann es dann zu einem Positionswechsel in der Geschwisterreihe kommen, wenn beispielsweise das jüngere Kind einen sehr starken Körperbau im Vergleich zum älteren Geschwisterkind hat.

Jedes Kind braucht ein anderes Maß an persönlicher Zuwendung, damit es das Gefühl bekommt, angenommen zu sein. Ein Kind mit einem schlechteren Selbstwertgefühl meint immer, die Geschwister würden bevorzugt und mehr geliebt als es selber. Deshalb braucht ein solches Kind wesentlich mehr Zuwendung als ein anderes. Sein Gefühl von „Akzeptiert sein“ muss also seinem subjektiven Empfinden und nicht nur der objektiven Tatsache angepasst werden.

Selbst wenn Eltern ihre Kinder nach demselben Muster erziehen möchten, muss diese Absicht als illusionär bezeichnet werden. Da sich nicht jedes Kind gleich verhält, können die Eltern auch nicht jedem Verhalten gleich begegnen, sondern müssen auf die entsprechenden individuellen Voraussetzungen eingehen.

Geschwister zwischen zwei und vier Jahren haben alle 10 Minuten Krach

Geschwister im Alter zwischen drei und sieben Jahren geraten etwa 3,5 Mal pro Stunde aneinander. Im Alter zwischen zwei und vier Jahren gibt es sogar alle 10 Minuten Krach.

Da braucht man als Erwachsener schon mal eine Extraportion Nerven oder ein paar Tipps zum Umgang damit.

Praxistipp

Konflikte zwischen Geschwisterkindern sind alltäglich. Wenn der Konflikt bereits da ist und die Parteien „in Fahrt“ sind können folgende Verhaltensweisen von Erwachsenen hilfreich sein:

  • Keine Partei ergreifen („ich weiß nicht, wer angefangen hat“) und nicht den Richter spielen!
  • bei Konflikten nicht zu schnell eingreifen (nur bei Gewalt und klarer Unterlegenheit bei einer Seite).
  • Nicht vergleichen / Rollenzuschreibungen vermeiden
  • Möglichkeiten zum Rückzug bieten
  • Den Konflikt nicht für die Kinder lösen, sondern mit den Kindern
  • Die individuellen Bedürfnisse der Kinder beachten
  • Besprechung in Ruhe, Gefühle benennen

 

Möglichkeiten um Konflikten und Eskalationen vorzubeugen.

  • Vorbeugen: Lob für angemessenes Verhalten
  • Vereinbarungen statt Verordnungen
  • Wirkungsvolle Aufforderungen (Dranbleiben, bis der Aufforderung nachgegangen wurde)
  • Gemeinsames Aufstellen von Regeln
  • Affektkontrolle bei Streitigkeiten – nicht vorschnell reagieren (bis 10 zählen)
  • Besonnenheit, nichts persönlich nehmen („Ich bin der Erwachsene“)
  • Feinfühliges Handeln
  • Selbstfürsorge betreiben

Kinder streiten sich und spielen danach wieder gemeinsam.

Warum?

Weil Ihnen Glück wichtiger ist als Stolz!

aus Sprüchewelt.com

Online-Live-Seminar

Tausche Schwester gegen Traktor

Geschwisterkonstellationen aus systemischer Sicht

Im Seminar werden Geschwisterkonstellationen aufgezeigt und verschiedene Geschwisterrollen beleuchtet. Aufgrund der daraus resultierenden Zusammenhänge im Hinblick auf kindliche Verhaltensweisen wird die Rolle und Bedeutung der ErzieherInnen erarbeitet.

Inhalte:

  • Unterschiedliche Rollenstrukturen in der Familie
  • Verschiedene Familienkonzepte
  • Systemische Hintergründe
  • Bedeutung von Geschwisterkonstellationen
  • Verschiedene Geschwisterrollen
  • Kindliches Verhalten und Rolle der ErzieherInnen

Seminarzeiten:

Das Seminar besteht aus einem Termin:

01.12.2023 von 09:00 - 12:00 Uhr & 13:00 - 16:00 Uhr

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